Mit dem Künstler durch die Woche

oder :
Eigentlich wollte ich ja Metzger werden

 

Dieser Text wurde von Francis Kirps an einem Freitag 14ten Dezember, ab 10 Uhr morgens verfasst, und am selben Abend, dem “Poésie Sonore” Abend, Teil des Abschluss-programms von Making Of, vorgetragen. Auch wenn es nicht dasselbe ist, den Text selber zu lesen, als Francis dabei zu zuhören, haben wir ihn hier integral wiedergegeben.

Montag, 8:00. Aufstehen. Mein Kopf schmerzt. Aber nicht von Alkohol, ich trinke ja fast nie was, von Champagner werd ich blind und von Rotwein krieg ich Halluzinationen. Nein, die Kopfschmerzen kommen daher, dass ich mir den Kopf gestossen habe, und daran wiederum ist meine neue Fensterglas-Designer-Brille schuld. Seit ich das Ding trage, sehe ich nicht nur aus wie eine extrem intelligente Version von Stubenfliege Puck, sondern ich stosse mich überall, falle in Baugruben und bin auch sonst recht desorientiert.

Was normal ist, weil ich eigentlich überhaupt keine Brille brauche, meine Augen sind scharf wie die eines Adlers in einem Luis-Trenker-Film, ich bin total der visuelle Typ.

Aber ein bildender Künstler ohne achteckige, schwarzumrandete Brille die doppelt so gross ist wie sein Kopf, den nimmt doch heutzutage keiner ernst. Ein totaler No-Go. Und deshalb muss ich den monströsen Apparat eben immer tragen, wenn ich unter wichtige Leute gehe.

Und gestern im Mudam, beim „Brunch des Artistes“ (zu Deutsch: merkwürdig angezogene Menschen mampfen Sushi und produzieren Sprechblasen und Insiderwitze), da bin ich dann eben gegen eine Skulptur der chinesisch-luxemburgisch-Antwerpener Künstlerin Frida Wu Tang van Houten gekracht, eine lila Gartenzwergin mit acht Armen, sieben Brüsten, sechs Tentakeln und einer Kettensäge, also die Skulptur, nicht die Künstlerin.

Ich hab mich dann rausgeredet, indem ich behauptet hab, es sei Absicht gewesen. Eine Kunst-Aktion: strukturelle Dekonstruktion durch konstruktive Destruktion. Das haben mir alle abgekauft, gegen Dekonstruktivismus darf man ja nichts sagen. Die Künstlerin hat sich für meine kreative Würdigung ihrer Arbeit brav bedankt und nennt den Scherbenhaufen, den ich hinterlassen habe, jetzt eine Installation. So waren am Ende alle zufrieden und mein kleiner Fauxpas wird keine juristischen Folgen nach sich ziehen.

Nicht wie damals auf der Holocaust-Mahnmal-Messe, als ich die „Reichsflugscheiben in Aspik“ von Jonathan Meese aufgegessen habe und seine Mutter mir ihre Anwälte auf dem Hals gehetzt hatte.

Ich habe sogar schon Anfragen von anderen Bildhauern, die auch gern hätten, dass ich ihre Skulpturen auf diese Weise dekonstruiere, aber da musste mein Agent absagen, mein Terminkalender ist auch so schon voll genug.

Alles nur wegen diesem Brillenzwang, mittlerweile lassen sich die bildenden Künstler ja in zwei Schulen einteilen, die Fielmann- und die Afflelou-Schule.

10:00, Mails checken, Aktenkurse verfolgen, Facebookseite pflegen.

Dann noch ein wenig an meinem Wikipedia-Eintrag feilen, mit dem ich noch immer nicht zufrieden bin, obwohl er schon doppelt so lang ist, wie der von Leni Riefenstahl.

Über dieser wichtigen Arbeit vergeht der Tag wie im Flug. Am Abend treffe ich mich mit Xavier Bettel. Er braucht noch irgendwas Kulturelles für den Weihnachtsmarkt, und da hat er an mich gedacht.

Einen schwangeren Christbaum, schlage ich vor. Mit Goldstaub überpudert, damit ich das Budget schön aufblähen und ordentlich Fördergeld anfragen kann.

Achja, das Konzept dahinter: Der schwangere Weihnachtsbaum soll auf die Situation der Frau im Besonderen, des Menschen im Allgemeinen, als mit Lametta behängtes Konsumobjekt, aber auch Konsum-Subjekt, in der Konsumgesellschaft verweisen, und zum kurzen Innehalten im Wahn der Weihnachtseinkäufe auffordern. Xavier ist ganz begeistert. Total cooler kritischer Ansatz. Ein Win-Win-Konzept.

Wir reden dann noch ein wenig, und Xavier lacht über die Bürger. die ernsthaft glauben dass der Weihnachtsmarkt im Januar wieder wegkommt, dabei ist es sein Plan. die Stadt in einen gigantischen Ganzjahresweihnachtsmarkt zu verwandeln: ein Echtzeit–Vergnügungspark, mit Riesenrädern und Triumphbögen, Feuerwerken und Frittenbuden, Gondeln und Wasserfällen an jeder Strassenecke. Und Glühwein. Die Einwohner werden nur noch Dekorationselement sein und von Touristen gefüttert werden, wie die Eichhörnchen, die sie ja eigentlich immer schon waren. Endlich mal innovative Ideen in unserer verstaubten Kommunalpolitik, sage ich, und wir klopfen uns gegenseitig auf die Schulter bis es wehtut.

Dienstag ,9 Uhr morgens. Ich habe Hunger. Schaffe es aber nicht direkt aus dem Haus zu kommen, um Brötchen zu holen, ich finde den Ausgang nicht mehr.

Meine Freundin ist ja diese Top-Architektin, und unser Haus wurde nach ihren Plänen erbaut. Die hipste Oberklassenvilla des Landes. Wir waren sogar im Kulturmagazin bei RTL, das Haus hat einen Architektur-Preis gewonnen und Josée Hansen hat extradickes Lob und von Herzen kommende Glückwünsche getwittert.

Leider ist das Haus so genial, so innovativ konzipiert, dass man sich dauernd darin verläuft. Wir haben schon 4 Putzfrauen, 3 Hunde und 2 Kinder auf diese Weise verloren. Und meine Freundin habe ich seit Tagen nicht mehr gesehen, entweder hat sie mich verlassen, weil ich nicht genug verdiene, oder sie hat sich in den labyrinthischen Gängen ihrer eigenen Konstruktion verirrt.

Am Ende seile ich mich vom westlichen Bauhaus-Fenster ab, um zum Bäcker zu gehen.

Ich bewohne eigentlich nur noch mein Büro, in die anderen Räume des Hauses traue ich mich nicht mehr. Ein richtiges Atelier habe sowieso ich nicht, das habe ich nicht nötig.

Aus Image-Gründen habe ich allerdings eine Fabrikhalle im Bohème-Hotspot Esch-Belval angemietet, wo haufenweise Schrott rumliegt, und Spraydosen und Farbeimer und so malerisches Gerümpel. Die nutze ich für Pressefotos und sonstige Promo-Zwecke, manchmal muss man sich ja die Hände schmutzig machen und im Overall mit Lötpistole und Metallsäge posieren, weil die Öffentlichkeit das so erwartet, von einem richtigen Künstler.

Ansonsten konzipiere ich meine Werke zuhause am Laptop und lasse sie von ortsansässigen Handwerkern manuell anfertigen. Allerdings kosten die Handwerker ein Heidengeld und reden ständig rein, als ob diese Spiesser etwas von der Arbeit des Künstlers verstünden. In meine letzte Installation „Kippenberger im Weltraum“, hat der Typ mir eine funktionierende Wasserspülung und eine Einbauküche installiert, ohne mich zu vorher fragen.

Meine neuste Arbeit habe ich deshalb an die örtliche Behindertenwerkstatt vergeben, das ist billiger und wirkt so nett authentisch, Art Brut 2.0.

Geld ist ja überhaupt das Wichtigste. Überall muss gespart werden. Gerade in Sachen Material heisst es, Hauptsache billig: Ölfarben, Leinwand, Staffelei und Marderhaarpinsel kosten viel zu viel, und sind ein Relikt aus dem Mittelalter. Heutzutage verwendet man billige Materialien aus dem täglichen Leben: Schrott, Filz, Margarine, gebrauchte Tampons usw…

12 Uhr Mittag: Das Telefon klingelt. Ich hoffe, dass es meine verschollene Frau ist, aber es ist nur die Mutter von Jonathan Meese.

Ob es wahr sei, dass ich in meinem nächsten Werk Hakenkreuze verwenden wolle, sie habe da sowas läuten gehört, am Künstlermütterstammtisch.

Naja, sage ich, das stimmt schon. Aber nur ganz wenige, so klitzekleine, linksdrehende, um die Spiesser zu provozieren. Ich hab doch einen Auftrag von den Bayreuther Festspielen, und ohne ein wenig Nazikram geht da gar nichts.

Daraufhin erklärt sie mir lautstark, dass ich kein Recht habe, Hakenkreuze zu verwenden, sie habe das Hakenkreuz nämlich rechtlich schützen lassen, so dass nur noch ihr Jonathan es in seiner Kunst verwenden dürfe, wenn ich es also doch wagen sollte, Hakenkreuze zu verwenden, egal wie kleine, dann würde sie mir ihre Anwälte auf den Hals hetzen, jawohl. Und nur damit ich es wüsste: am Runenalphabet habe sie mittlerweile ebenfalls die Alleinrechte. Dann hängt sie ein.

Mmh, das ist jetzt aber blöd. Ohne Hakenkreuze macht das alles irgendwie keinen Spass.

Hirschgeweihe darf ich auch nicht, da hat die Oma von Neo Rauch sich die Rechte gesichert, seit Neo von Jägermeister gesponsert wird.

Neo Rauch lässt seine Sachen ja von Schulkindern in Bangladesch pinseln, nach Motiven aus seinen Träumen, die er jeden Morgen pünktlich um halb acht per e-mail an den Vorarbeiter schickt. Die fertigen Bilder werden von Bangladesch nach Rumänien geflogen, wo eine des Zauberns kundige Zigeunerin sie zerstückelt und möglichst wirr wieder zusammensetzt. Das ergibt den verstörend surrealen Effekt, ohne den Neos Bilder nicht mal die Hälfte wert wären.

Der Jonathan Meese ist eigentlich ein ganz Netter, aber seine Mutter, jeminee.

Privat und heimlich malt Jonathan am liebsten monumentale Seestücke. Oder schnaufende Dampf-Lokomotiven. Sein Hobby sind Modelleisenbahnen.

Er wollte ja Lokführer werden, hat er mir mal erzählt, wie sein Vorbild Jim Knopf, aber wie man weiss, hatte seine Mutter andere Pläne mit ihm.

Mich kann Mutter Meese überhaupt nicht ausstehen, ich darf auch nicht mehr zum Spielen kommen, angeblich bin ich ein schlechter Einfluss für ihren Jonathan.

Wahrscheinlich hasst sie mich bloss, weil ich meinen letztjährigen dokumenta-Beitrag nach ihr benannt habe:

Jonathan Meeses Mutter und die Versuchung des heiligen Antonius“, eine post-apokalyptische Installation mit verstümmelten Playmobilfiguren und massakrierten Barbiepuppen, die miteinander kämpfen oder kopulieren, so genau kann man das nicht erkennen. Die geköpften Playmobilfiguren symbolisieren das verlorene Land der Kindheit und die entbeinten Barbiepuppen thematisieren die soziokulturellen Implikationen von 9/11. Für diese aufrüttelnde Arbeit habe ich viele wichtige internationale Preise bekommen und die New Yorker Ratingagentur Piggeldi & Pippilotti hat mich auf B plus hochgestuft, endlich in einer Liga mit Antoine Prum.

Und Christian Mosar hat einen Artikel im land geschrieben, den ich zwar nicht verstehe, der aber offenbar gut gemeint ist.

Mittwoch. Irgendwer, Goethe, oder Guido Knopp, hat mal gesagt, dass Kunst 10 Prozent Inspiration und 90 Transpiration ist. Aber ernsthaft: das trifft doch wohl eher auf Landwirtschaft zu, als auf die Arbeit des modernen Kunst-Entrepreneurs.

Kunst im globalen Zeitalter ist doch viel eher 10% Affirmation; 20% Konzeptprojektion, 30% Projektkonzeption, 40% global Networking, 50 % Öko-Sushi mit biologisch angebautem Kaviar , 60% Nepper Schlepper Bauernfänger; 70 M&M, also Marketing und Management, 80 % Latte Macchiato mit teilentrahmter Sojamilch, 90% Kopfnicken und aha, mhm, jaja sagen, und zu 100 % ein Witz. Aber mach das mal den Normalbürgern klar.

Ich arbeite noch ein wenig an meinem luxemburgisch-sprachigen Wikipedia-Eintrag, der von Antoine Prum ist länger als meiner, ich muss mir was einfallen lassen.

Wer Einfälle hat sollte zum Arzt gehen, hat irgendwer, Helmut Schmidt oder Harald Schmidt mal gesagt.

Ohne Einfälle vergeht mein Tag wie im Flug, gegen Abend fällt mir allerdings siedend ein, dass ich mir was für den luxemburgischen Pavillon bei der Biennale in Venedig einfallen lassen muss, es sind nur noch 7 Tage bis dahin.

Kolonialismus, fällt mir ein, gutes Thema, immer aktuell. Beschliesse also was mit nackten jungen Frauen zu machen, irgendwer, Alice Schwarzer oder Alice Cooper hat ja mal gesagt, dass Frauen die Neger des 20. Jahrhunderts sind.

Also schnell bis nächsten Montag ein Model-Casting in meiner Fabrikhalle organisieren, einen professionellen Fotographen (Christian Mosar?) anmieten, die Mädels schön mit Erdbeermarmelade beschmieren, damit es ein wenig splattermässig und auf Gewalt verweisend rüberkommt, und nicht zu brav wirkt, ihnen Pappschilder mit Textfragmenten von Baudrillard und Foucault umhängen, und voilà, fertig ist das vielschichtige, zum Nachdenken anregende Kunstwerk über das man stundenlang inhaltslos labern kann. Vom Kolonialismus des Gestern zum Kolonialismus von heute, der Verbraucher als weisser Fleck auf der Landkarte, passiver Empfänger von leeren Botschaften, seine Aufmerksamkeit kolonialisiert von den allmächtigen Medien, und so schliesst sich der Kreis.

Fehlt noch der Titel: Der geschlossene Kreis? Hm. Zu abstrakt. Vielleicht auf Französisch? Le Cercle Fermé, jau, das klingt nach Tiefe, so wird’s gemacht.

Und jetzt ist erstmal Schlafenszeit, morgen gehe ich auf Reisen.

Donnerstag, 10 Uhr morgens.

Saudi Arabien, Flughafen von Mekka, es ist ziemlich windig und echt sehr trocken.

Scheich Abdul empfängt mich freudestrahlend und geleitet mich in seinen Palast, er ist ein grosser Mäzen und mein wichtigster Kunde.

Ich soll die neuern Kampf-Panzer, die er von Angela Merkel bekommt, farbenfroh und lebenslustig illustrieren. Deeskalierend.

Etwas Spielerisches, Waldorf-Kita-mässiges schlage ich vor, Grundton vielleicht ein sattes Bananen-Gelb, dazu viele rundliche Formen, in Hellblau, Halbmonde, Wellen, Smileys und natürlich Tiere, Elefanten, Koalas, Delphine, Kamele.

Der Scheich ist sofort begeistert von meiner Idee.

Das wird meinen Behinderten Spass machen, denke ich, und freue mich auf das Geld.

Dann kommt es allerdings zu einer etwas peinliches Situation: Scheich Abdul will dass ich ihm ein Muster-Kamel male, jetzt gleich und sofort, und dabei kann ich doch gar nicht malen, nicht mal Strichmännchen kann ich.

Ich rede mich damit raus dass, ich jetzt nichts malen kann, weil ich Künstler bin, und das entsprechende Ambiente mir fehlt. Ich kann da jetzt einfach nicht so spontan ein Kamel zeichnen, sage ich, dafür brauchts Inspiration, das muss fliessen undso… Und dann erkläre ich dem archaischen Wüstensohn erstmal wie Kunst heutzutage funktioniert. Als ich bei Beuys und Baselitz ankomme, kriegt er sich vor Lachen nicht mehr ein, aber zumindest muss ich kein Kamel malen.

Wir statten dann noch der Kaba einen Blitzbesuch ab, herrliche Monumentalkunst!

Ein riesiger schwarzer Würfel, der innen hohl ist, und den tausende Kunstjünger umtanzen und anbeten. Sowas gibt’s bei uns nicht mal in Brüssel oder New York. In manchem sollten wir uns ein Vorbild am Islam nehmen.

Dann geht’s wieder zum Flughafen, ich habe noch einen Nachmittagstermin in Nordkorea, mit einem jungen Künstler, den ich seit dem Tod seines Vaters manage.

Als ich ins Flugzeug steige, landet gerade eine goldfarbene Cessna mit grünem Kleeblatt drauf. Ein riesiger Hut mit einem sehr kleinen Mann darunter steigt aus, es ist der Banker-Sänger Bono Vox, der hier ein Privatkonzert zum Geburtstag von Scheichs Abduls 11-jähriger Tochter geben soll, aber das darf natürlich keiner wissen.

Achtung Bono!, rufe ich ihm zu, und er purzelt vor Schreck die Flugzeugtreppe runter.

18.00, Pyönjang, es ist windig und ziemlich frostig.

Dafür ist die Begrüssung durch meinen lieben Freund Kim umso wärmer. Kim ist einer der unterschätztesten Künstler der Moderne, seine aus ganz Nordkorea bestehende Monumental-Installation „Synchronicity“ wird von politischen Wirrköpfen immer noch für eine Diktatur gehalten, dabei ist es ein umfassendes, über Generationen gehendes Gesamtkunstwerk, die einzige Installation, die man vom Mond aus sehen kann.

Leider ist Kim ein scheuer, fast schüchterner Mensch, der die Öffentlichkeit meidet, ungern Interviews gibt und sein Kunstwerk bislang nur wenigen Auserwählten gezeigt hat. Und damit dass sich ändert, bin ich als sein Manager gefragt.

Ich plane eine Promokampagne, quer durch die der Welt der Kunstakademien, um Kim endlich als zeitgenössischen Künstler von Rang zu etablieren, und da müssen wir eben jetzt das Konzept ausarbeiten, ein Dossier zusammenstellen und vor allem einen knalligen Titel finden.

Der absolutistische Ansatz der Kunst als Metapher für das Machbare“, schlage ich vor, und wir einigen uns darauf, versprechen per mail in Kontakt zu bleiben, und dann steige ich wieder ins Flugzeug. Kim gibt mir noch ganz liebe Grüsse für seine luxemburgischen Facebook-Freunde, Erzbischof Hollerich und Christian Mosar mit, die er offenbar für ein und dieselbe Person hält.

Freitag. Dieser Tag gehört meinem Therapeuten, der mich wegen meiner Obsession mit Hakenkreuzen und Erdbeermarmelade behandelt. Er meint ich solle es statt Erdbeermarmelade mal mit Nutella versuchen, die ruhigen erdfarbenen Töne von Erdnussbutter hätten eine wohltuerende Wirkung auf die menschliche Psyche, als das aggressive Rot der Marmelade. Das ist mal eine gute Idee, meine ich, froh dass wir nicht auf meine allergrösste Obsession, Jonathan Meeses Mutter, zu reden kommen. Gerade vor seinem Therapeuten sollte man sich ein paar Geheimnisse bewahren.

Ich möchte den Therapeuten ja auch nicht allzu sehr mit meinen Alltagssorgen belasten, er ist eher so der sensible Typ, der mehr als genug mit sich selbst zu tun hat, erzähle ihm dann aber doch dass ich meine Freundin nicht mehr in unserem gemeinsamen Haus wiederfinde.

Er interpretiert das mit Lacan als verdrängtes Wunschdenken, als Angst, die leeren Räume des kindlichen Id zu betreten bzw. zu verlassen undsoweiter. Das beruhigt mich, ich hatte schon Angst gehabt ihr Verschwinden sei real.

Am Nachmittag arbeite ich noch am Konzept für meinen Tanz-Film „Auf der Dokumenta fällt ein Sack Reis um. (Nach Motiven von Pina Bausch)“, der auf den Pekinger Kurzfilmtagen 2013 gezeigt werden soll und schlafe darüber ein.

Samstag. Sendung mit der der Maus, dann Sportschau. Chillen. Relaxen.

Abends muss ich ein Konzert im Exit besuchen, furchtbare Musik, Bla Bla oder Xiu Xiu oder Blubberlutsch oder sowas, der Sänger klingt wie ein Nacktmull auf der Streckbank. Aber ich muss mich nunmal da zeigen, und so tun, als ob ich dem Gefiepe intellektuell gewachsen bin, das gehört zu dem Job einfach dazu.

Privat höre ich ja ganz andere Musik:

Marillion, Toto, Paul McCartney, den ich solo sehr viel besser finde als mit den Beatles, Phil Collins, der frühe Lionel Ritchie, ich hab all ihre CDs im Tresor, und lege sie nur zu ganz bestimmten Momenten auf; nicht mal meine Freundin weiss davon.

Meine Freundin…

Immer noch kein Lebenszeichen von ihr, dieses Haus wird mir so langsam unheimlich. Als ob es jeden Tag seine Form ändert.

Ich schlafe beunruhigt ein.

Sonntag. Merkwürdige Träume von Würsten und Koteletts gehabt. Ob meine kreative Power nicht langsam doch zu viel für mein System ist?

Lege zur Entspannung die neue CD von Mark Knopfler auf, die ich hinter den Einstürzenden Neubauten im Regal versteckt habe.

Eigentlich wollte ich ja Metzger werden, aber meine Eltern meinten, das sei viel zu unsicher, und haben darauf bestanden dass ich was Anständiges lerne. Der freie Mittelstand hat ja heutzutage keine solide Basis mehr, als staatlicher Künstler ist man da sehr viel abgesicherter

Und man hat es in der bildenden Kunst ja auch ziemlich leicht, wenn man weiss wie es geht:

Das Kunst-Publikum ist so mündig und kritisch wie der Fanclub von Tokyo-Hotel, die Kundschaft besteht aus ungebildeten Bankern und neureichen Nerds, die multinationalen Galerien regeln den Flow zwischen Markt und Kunst, und wenn man sich richtig anlegt, grad in Luxemburg, kann man von Fördergeldern besser leben als ein Staatsbeamter von seinem Gehalt. Solange man schön brav und sozial kompetent ist, geht’s nur nach oben.

Insofern bin ich meinen Eltern dankbar dass sie mir diesen Metzger –Quatsch ausgeredet habe, aber manchmal träume ich halt doch, ich stünde hinter der Fleischtheke.

Von mir aus nennt es krank, aber manchmal träume ich davon, tote Körper zu Wurst zu verarbeiten. Und aus diesen Würsten, aus diesen unzähligen Würsten würde ich dann einen riesigen Wurst-Globus formen, für die nächste Landwirtschafts-Weltausstellung.

Körperwelten würde ich es nennen, ach nein das gibt’s schon, dann eben Kadaverwelten, aber das ist promo-technisch längst nicht so clever wie Körperwelten. Wurstwelten? Oder Speck, vielleicht irgendwas mit Speck. …?

Aber da kann ich jetzt nicht weiter nachdenken, ich muss mich abseilen, bald beginnt der „Brunch des Artistes“ im Mudam, da darf ich nicht fehlen, sonst denken alle, ich stecke in einer Schaffenskrise und bin weg vom Fenster und dann sinkt mein Standing und mein Ranking fällt und ich bekomme keine Aufträge mehr und und und…

Ach, das Künstlerdasein ist ein hartes Brot.

Hätte ich auf mein Herz gehört, dann wäre ich Metzger geworden.

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